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Sei schön und wehr dich nicht

Gedanken übers schön sein, bewerten, klein machen, groß werden.

Es gibt Tage, da bläht sich das Fett richtig auf. Trotz Gestrample wird es nicht straffer, es lacht einen direkt aus. Dann die Tage, an denen mir eine Oma im Spiegel entgegenblickt. Trotz klein sein und jünger wirken schaut sie trotzdem raus. Da sind die Längsfalten auf der Stirn vom vielen Zweifeln und die Lachfalten, Himmel noch eins, es kommen auch die Halsfalten und am ältesten: die Augen. So müde schauen sie mich an, so müde. Als hätten sie schon alles gesehen. Im Sommer gibt es immer ein paar Tage an denen die Sonne scheint, ich mich nur von Wasser und Tomaten ernähre und gesund aussehe. Das sind die wenigen Tage, an denen ich mir gefalle.

Aber selbst dann bin ich hässlich in den Augen derer, deren Meinung ich nicht bin. Derer, die ich aus ihrer comfort zone geschubst oder sie an etwas erinnert habe. Derer, die ich abgewiesen oder sie auf etwas hingewiesen habe! Derer, die nicht versuchen zu verstehen und nicht zuhören. Um diese lauten Ausrufe zu vermeiden gehe ich mit Öffentlichkeit sehr vorsichtig um. Denn obwohl ihre Bewertungen nicht ZUtreffen, treffen sie.

Aktuell in den Medien ein prominentes Beispiel dieser „Bewerter“, ein amerikanischer Politiker der Gott genug ist, Frauen ungefragt berühren zu dürfen und manche Frauen sind ihm sogar dazu zu hässlich.

Geht frau nach seinen Worten müssten wir also froh sein von so einem tollen Kerl wie von ihm begrabscht werden zu dürfen ohne dass er unseren Namen kennt, weil er gerade Lust drauf hat. Unsere Schönheit hier auf Erden hat also den Zweck, Männer zu befriedigen. Erstmal visuell (und bitte liebe Frauen, tut alles dafür dass ihr für immer schön bleibt) und dann, wenn wir vor ihnen herum stöckeln und sie plötzlich Lust bekommen, sollten wir gefügig sein und keine Grenzen kennen. Dann sind wir gute Frauen. Rechtlich gesehen heisst sowas Nötigung, oder? Aber zurück zum Thema. Wenn wir uns wehren, eine Meinung haben, provokante Fragen stellen oder NEIN sagen sind wir schlechte Frauen, kompliziert, zu hässlich zum Begrabschen?

Ich empfinde ihn als Ausnahme. Nicht MÄNNER sind so, diese Art von Männer. Und genauso scheint es mir unergründlich im Frauenreich Exemplare zu geben, die so sind wie dieser Politiker die Frauen sieht. Deren Befriedigung gleich die visuelle und körperliche Befriedigung eines Mannes ist. Die wirklich, ja wirklich, so sind wie Frauen in Pornofilmen. Deren Aussehen, Schreie und Bewegungen nur am Trieb des Mannes ausgerichtet sind. Ich möchte dies hier nicht verurteilen, was ich verurteile ist die Annahme Frauen haben sich anzupassen. An ein Ideal welches Schönheit als etwas Äußeres definiert, stärker als das Wesen dahinter, überstrahlend. Welches auch schon junge Mädchen zweifeln lässt. Wenn du dich wehrst oder wahre Gefühle zeigst, bist du hässlich!

Wenn ich an die Werbeindustrie denke, die stumme perfekte Frauengestalt, die immer verführerisch und verfügbar ist, frage ich mich manchmal ob dieses „Politikerverhalten“ eine provozierte Reaktion ist. Die vielen Mädchen und auch Frauen, die Gesicht und Körper täglich gratis in Kameras halten und schreien: „Bin ich schön? Sag mir, dass ich schön bin!“ Eventuell kommt ja beim anderen Geschlecht an: Körperlichkeit ist Priorität. Ein „du bist schön“ oder „dich würde ich gerne mal…“ ist ein „ich liebe dich“ und das „ich liebe dich und deshalb bist du schön“ viel zu anstrengend. Dieses Streben nach „du bist wertvoll weil du schön bist“ wird dadurch verstärkt, dass Mädchen/Frauen sich selbst einfach wegschminken, operieren, reinquetschen, mit einem Filter verändern oder Photoshop ihre Gestalt übernimmt. Sie gleichen dann einer Schauspielerin, einer Puppe. Beide sind nicht real, aber das Bild ist schön. Was brauchen die Mädchen, die nach dieser Art Aufmerksamkeit schreien wirklich? Reicht ein:“Du Hübsche“? Reicht es? ERreicht es dich?

Hey, bin ich gerade hässlich? Weil ich das laut schreibe, herum bohre, anspreche?

Es ist niemals die Schuld der Frau, wenn ein Mann sich so grenzüberschreitend äußert oder nähert wie dieser amerikanische Politiker. Niemals. Das ist nicht in Ordnung. Aber was aus Erfahrung nicht zu verneinen ist: ein bestimmtes Verhalten und gezielt gesetzte Reize ziehen eine gewisse Art von Mann an. Gellendes Blond, schwingender Busen und der ländliche Audifahrer fährt gaffend gegen die Leitplanke. (Ich entschuldige mich bei allen nicht betroffenen Audifahrern, es dient momentan der Bildsprache.) Der ist es übrigens auch der sich wegen seiner Reifen ärgert, weil er einen Igel überfahren hat. Der ist es auch, der ausschliesslich für blond und jung seinen Speed drosselt, Omas und Kinder über die Strasse lassen ist im Zeitplan nicht enthalten. Und der ist es auch, der alles dafür tun wird um deine Schönheit zu bekommen, einmal. Hörst du danach auf zu lächeln, widersprichst du ihm gar weil du nicht mehr verfügbar sein möchtest, bist du plötzlich nicht mehr so schön.

In den Augen der Angesprochenen bin ich jetzt gerade furchtbar hässlich, sie würden sich ja nicht mal herablassen, mich zu … und die beschriebenen Frauen, tja die lesen das Gelabere dieser Ökobraut erst gar nicht.

Hätte ich eine Tochter wäre meine größte Erziehungsaufgabe sie zu bestärken sich zu wehren.

Mein Kind, lass dir niemals von jemandem vorschreiben nicht auszusprechen, was du fühlst. Weder von realen Personen, noch von Plakaten. Wenn du fühlst etwas ist ungerecht, zu nahe, zu respektlos, definiere deine Grenzen und artikuliere es. Sage NEIN ICH MÖCHTE DAS NICHT. Sollte das Gegenüber dies missachten, suche dir sofort Hilfe.

Lass dich von niemanden bewerten. Ich weiß das ist ganz schwer wenn nicht sogar unmöglich, gerade in den Teenagerjahren. Aber schau dir genau an, WER dich bewertet und aus welchen Gründen. Meist ist es eine Verletzung, Unfähigkeit zu kommunizieren, nicht erlernter Respekt und hat nichts mit der Wahrheit zu tun. Ich selbst schaffe es auch nicht, Kritik nicht an mich ranzulassen. Aber die verzerrten Gefühle oder auch nur die Langeweile des anderen darf niemals lauter werden als die Stimmen derer, die dich lieben.

Ich schulde niemanden Schönheit schreibt Maaike Kellenberger von linguipster. Wer noch was dazu sagen oder Einspruch erheben möchte, spreche bitte jetzt oder soll für immer schweigen.

Aber zurück zu mir und den lachenden Fettpölsterchen.

Ich bin 35 Jahre alt. Ich habe ein Kind geboren und habe Narben, furchtbare Dellen. Ich bin müde. Viele Nächte war ich wach und hab auf irgendwen aufgepasst außer auf mich selbst. Geweint, geschrien, gelacht, meine Energien verschenkt. Mich hauptsächlich mit Problemen anderer beschäftigt. Mein Körper beginnt spürbar zu altern, er tut an vielen Stellen weh und die Schwerkraft macht sich bemerkbar. Hätte ich das ein oder andere Mal doch besser auf meinen „Teint“ geachtet statt mich reinzusteigern, besser die Nägel machen lassen als damit in der Erde rum zu wühlen. Man kann in meinem Gesicht lesen was ich erlebt habe. Ich möchte es nicht verstecken, es wäre ja trotzdem noch da. Schön finde ich meine Hülle nicht. Ich halte mein Gesicht, meinen Busen oder Hintern nicht jedem ins Gesicht, in keine Kamera, präsentiere sie nicht auf jeder Pinnwand oder in einer Bar. Auch damals, als ich objektiv noch „schön“ war > jung! dachte ich genau gleich. Nur damals bezog ich es auf zu wenig Selbstbewusstsein. Im Nachhinein muss ich mir selber auf die Schulter klopfen für den Mut, mich nicht an ein scheinbares Ideal angepasst zu haben. Zu Jungs NEIN gesagt zu haben. Weil es Grund genug war und ist, dass ich nicht will.

Wer für mich schön ist

Wenn Menschen wirklich lachen, ist das schön. Wenn sie ehrliche Freude empfinden und ihre Augen strahlen. Der Moment, wenn man aus dem Meer steigt und mit nassen Haaren das pure Leben spürt. Beim Tanzen. Wenn Menschen etwas mit Liebe betrachten. Wenn sie etwas streicheln, umarmen oder bewundern. Liebe macht alle Menschen wunderschön. Nicht alle können das zeigen, gerade denen möchte ich sagen: Das ist schön. Auch wenn etwas schmerzt und man Gefühle zeigt, weint, sich für etwas einsetzt. Helden sind schön, ich habe noch keinen hässlichen Arzt ohne Grenzen gesehen. Das kommt alles irgendwie von innen. Schön sind auch Menschen die kreativ sind. Die sich abheben durch ihre einzigartige Persönlichkeit, die sie kompromisslos zeigen. Mir bleiben Menschen im Gedächtnis, deren Profilbilder ich nicht sofort verstehe. Die schönsten Menschen die ich kenne haben aus ihrer naturgegebenen Symmetrie und ihrem guten Körperbau nie was gemacht, haben furchtbare Frisuren und immer die selbe Kleidung. Sie sind lustig und hilfsbereit und ich hab ihre Schönheit erst auf den zweiten Blick bemerkt. Die Hässlichsten sind die, die unehrlich zu mir oder jemand anderen waren. Menschen, die Gewalt anwenden sind so hässlich, dass ich es gar nicht aushalte. Ihre Hässlichkeit bringt mich zum Handeln, so unfassbar hässlich sind sie. Hässlich sind auch die Nichtssagenden, die die nichts tun, weil sie ja eh nichts machen können. Sie verschwinden grau in der Masse.

Gerade dann wenn du dich wehrst, bist du schön. 

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